06.07.2021 14:10

"Die Akte Adenauer" von Ralf Langroth

Die Geburtshelfer der Bundesrepublik

Es ist ein Buch, das in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland spielt, um 1953 um genau zu sein. Das ist eine Zeit, über die es leider (noch) selten etwas zu lesen gibt. Ich bin in den 50er, 60er Jahren großgeworden. Die Personen rauchen alle und zwar Chesterfield oder Camel. Ich habe ständig damit gerechnet, dass es auch Overstolz-, Eckstein- oder Senoussi-Raucher gibt. Man erinnert sich an Marken und Automodelle wie Opel Olympia, Kapitän, Ford Taunus und Porsche 356.
Und natürlich an die „Marke“ Adenauer, um den es geht. Wie und warum verrate ich nicht. Der „Alte“ war viele Jahre Bundeskanzler und das im Alter von 78 Jahren und mehr. Die Bundeshauptstadt war Bonn. Daran war Adenauer nicht unschuldig, denn Berlin ging nicht wegen der Teilung von Stadt und Land und Adenauer lebte in Bad Godesberg nahe Bonn.

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Bonn ist eine fußläufige Stadt und das Land wurde von dort aus quasi wie aus der Provinz regiert. Die Regierungsarbeit war noch „handgemacht“ und nicht so bürokratisiert und undurchschaubar wie heute, obwohl Adenauer Strippen zog, die hinter den Kulissen liefen und Menschen in seinem Sinne auf der Politikbühne bewegte. Er war ein richtiger Politiker und keiner, der sich auf dem Weg zum Amt durch den Parteiapparat hat rundschleifen lassen.
Doch der Protagonist des Buches ist Philipp Gerber, gebürtiger Deutscher, der in jungen Jahren mit seinen Eltern aus Deutschland in die USA geflohen war, dann als Offizier des Militärgeheimdienstes CIC der USA zurück nach Deutschland zum „Aufräumen“ kam. Er war Jurist und sollte nun nach 10 Jahren den Dienst quittieren, um in Harvard zu lehren und June, die Tochter seines Chefs Colonel Anderson zu heiraten.
Doch der benötigte ihn noch etwas länger. So wurde er wieder eingedeutscht und sollte seine Arbeit als neuer BKA-Hauptkommissar in der Bonner Sicherungsgruppe fortsetzen.
An allen Ecken und Enden stößt er auf deutsche Geheimdienstler und Polizisten, die aufgrund von Erfahrung und Protektion aus konservativen Kreisen die Arbeit weitermachten, die sie auch schon vor 1945 taten. Gerbers engster Mitarbeiter Sattler ist ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS.
Ein denkbar schwieriges Umfeld, um ausgerechnet zu Partisanen ausgebildete Nazi-Kleingruppen - NSU lässt grüßen - zu jagen, die sich Werwölfe nennen. Werwölfe hatten Gerbers Vorgänger Buchmann eliminiert.
Gerber macht seine Arbeit erst widerstrebend, aber pflichtbewusst und gezwungenermaßen fast im Alleingang.
Sein CIC-Chef und die Amerikaner generell sehen den Kommunismus als größte Gefahr der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Sie haben die Werwölfe als „Bund Deutscher Jugend“ mit aufgebaut und finanziert. Lieber Nazis als Kommunisten war das Motto (nachzulesen z. B. bei Wikipedia).
Bei einer Pressekonferenz wird Gerbers BKA-Vorgesetzter Krey von einer Journalistin, Eva Herden in Verlegenheit gebracht. Sie arbeitet für ein Blatt, das von der Sowjetunion finanziert wird. Eva Herden ist eine Meisterin der Recherche und es ergibt sich, dass sie, die Kommunistin Gerber hilft.
Außer Adenauer tritt noch ein weiteres Urgestein der deutschen Politik auf, Herbert Wehner („Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen!“ war eines seiner gefürchteten Bonmots, als ein Abgeordneter aus Protest gegen Wehner den Bundestagssaal verließ). Wehner stand auf der Abschussliste der Werwölfe, wie Ollenhauer und andere SPD-Politiker auch.

Sie merken schon, da hat die deutsche Geschichte einen hervorragenden Stoff für ein Buch vorbereitet. Ralf Langroth hat die Steilvorlage angenommen und bravourös verwandelt, um im Fußballdeutsch zu bleiben. „Die Akte Adenauer“ ist ein tolles Buch. Es hat mehrere wahre Kerne, um die herum die Geschichte und die Menschen wunderbar abgestimmt sind.
Ich empfehle das Buch allen denen dringend, die ein wenig deutsche Geschichte in einem unterhaltsamen und spannenden Rahmen kennenlernen möchten. Mit mehr Spaß, als ich ihn hatte, wäre es kaum möglich gewesen.