05.11.2021 17:45

„Polizeiärztin Magda Fuchs - Das Leben, ein großer Rausch“ von Helene Sommerfeld

Das Buch drängt zum Weiterlesen. Man will wissen, was die sehr gewissenhafte Frauenärztin Magda Fuchs als nächstes tut und was ihr passiert. Sie versucht in diesem zweiten Band der Serie um sie, ihre erste Praxis im vornehmen Charlottenburg aufzubauen und wird dabei von ihrer Hauswirtin gedrängt, alles zu tun, damit viel Geld hereinkommt. Die Hauswirtin ist Witwe eines Arztes, der Eingriffe vornahm, die um 1920 verboten, aber sehr ertragreich waren. Man könnte auch positiv sagen, er hat Frauen in verzweifelten Situationen geholfen. Magda will das auf keinen Fall.

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Sie kommt in Dissens mit sich selbst, da sie zum einen ihre Pflicht als Ärztin sieht und zum anderen eben diese Verzweiflung der Frauen. Neben der Praxis ist sie auch als Polizeiärztin tätig und kennt das Elend auf den Straßen von Berlin. Der Krieg war verloren und Deutschland musste die Zeche zahlen. Wie immer spürten das die einfachen Menschen am härtesten.


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Nicht nur Magda ist Protagonistin, sondern auch Celia Fahrland, die Tochter von Magdas Vermieterin. Sie wurde früh von ihrer Mutter mit einem Bankier verheiratet, der sich das Leben nahm, wie sich später herausstellte. Celia galt lange Zeit in Öffentlichkeit und Presse als seine Mörderin. In dieser Zeit und danach vermied sie den Kontakt zu ihrer Mutter und lebte bei reichen Freunden mit jüdischem Hintergrund, der Familie Kronstadt. Bei einer Feier, zu der Celia die Tochter dieses Hauses, Josefine Kronstatt begleitet, lernt sie einen jungen Mann kennen, der sich als der älteste Sohn des reichsten Deutschen herausstellt, Edgar Hinnes (man denkt immer, er müsste eigentlich Stinnes heißen, denn der Firmensitz ist in Mühlheim und das Imperium von an die 4.000 Unternehmen ist aus einer Kohlenhandlung hervorgegangen). Celia hat Schwierigkeiten, aus der Rolle der bevormundeten Tochter und später Ehefrau wieder ihre eigenständige Rolle zu finden. Sie bricht mit der Mutter und studiert Medizin. Beides ist eine Besonderheit im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts.
Ich beschränke mich hier nur auf einen kleinen Teil des Personals in diesem Buch, denn auf den 560 Seiten ziehen viele Schicksale an einem vorbei, was einem Probleme bereitet, die vielen an die Personen und Paare gebundenen Einzelfäden immer ordentlich zu verfolgen beziehungsweise nach einer Cliffhanger-Pause wieder aufzunehmen. Hinzu kommt ein sehr betulicher Ton in dem in der Geschichte von zum Teil sehr "edlen Menschen" berichtet wird. Man wünscht sich mehr Tempo und Rasanz als den Stil von "Courths Mahler". Wie oben gesagt, "drängt" einen das Buch. Das hätte alles flotter und kürzer, der rasenden Zeit der 1920er entsprechend erzählt werden können. Doch auch so bleibt man dran und einzelne Passagen überfliegt man, um schneller zu sein, jedenfalls ging es mir so. Ich bin aber sicher, dass es viel mehr Leserinnen gibt, denen das gefällt, als Leser, wie ich einer bin. Ein Buch ist eben Geschmacksache.
Was gelungen ist und was durch den aktuellen Trend gefördert wird, ist, dass mir beim Lesen oft Szenen aus der Fernsehserie "Babylon Berlin" durch den Kopf gingen: 1920er, Berlin, Armut, Aufstände, Aschinger, das rote Polizeipräsidium ... Das hat mir sehr gut gefallen, mal abgesehen davon, dass auch ich ein überzeugter "West-Berlin-Liebhaber" bin und die Berlinbeschreibungen gut recherchiert beziehungsweise der „Autorin“* sehr geläufig sind. Bei den Beschreibungen des "Scheunenviertels" schüttelt man den Kopf über die heutige touristische Vermarktung der "Hackeschen Höfe", 'die sind ja so pittoresk', sagt man.

*Es soll sich bei „Helene Sommerfeld“ um ein Pseudonym handeln, hinter dem sich ein Berliner Paar verbirgt