22.02.2022 14:00

"Zwischen Scherben" von Annemarie Bruhns

David ist fast achtzehn und gut ein Jahr vom Abitur entfernt. Er ist jeden Morgen pünktlich im Gymnasium und hat Freunde und Freundinnen dort, die viel im Leben vorhaben, aus gutem Hause kommen und die üblichen „Sörgelchen“ von Jugendlichen in diesem Alter haben. Davids beste Freunde sind die Zwillinge Finja und Luke, deren Vater Orthopäde ist. Ihre Mutter ist an Krebs gestorben. Niemandem in seinem Umfeld fällt auf, dass David seit Wochen obdachlos ist. Er übernachtet in einem Trümmerhaus im Wald, wäscht sich und seine Sachen in einem nahe gelegenen See und lädt sein Handy überall da auf, wo er an eine Steckdose kommen kann.

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Genau! Das mit dem Handy müsste heutzutage der GAU und völlig unerträglich für junge Leser und Leserinnen sein, denn David hat keinen Vertrag mehr. Er kann das Gerät nur mit öffentlichen WLAN-Zugängen und ansonsten nur noch als Uhr und Wecker und zum Hören von Musik, die noch aus besseren Zeiten gespeichert ist, gebrauchen. Er schlägt sich mit Gelegenheitsjobs in der Bibliothek und im Supermarkt durch. Das macht er so geschickt, dass niemand merkt, dass er entwurzelt ist. Sein Ziel ist es Abitur zu machen und danach Physik zu studieren, weil er meint, es seiner Stiefschwester Alexandra schuldig zu sein. Die Geschichte wird mit großer emotionaler Wucht aus Davids Sicht erzählt. Man begreift, was es heißt, nicht „dabei“ zu sein, aber dabeibleiben zu wollen oder gar müssen. Als David achtzehnter Geburtstag vorbei ist, wird ihm klar, dass seine Hoffnung, als junger Erwachsener Anspruch auf staatliche Unterstützung zu haben, um damit eine kleine eigene Wohnung und den Lebensunterhalt finanzieren zu können, platzt. Er müsste juristisch seine Ansprüche gegen seine Eltern durchsetzen. Er verliert den letzten Halt, denn zwei, drei Monate kann er seine Situation so durchstehen, wie er es tut, aber nun sieht er kein Ende. Mehr will ich nicht vom Inhalt verraten, nur das, dass man als Leser merkt, wie dünn die Schicht ist, die einen in der „anerkannten“ Gesellschaft hält und wie schnell diese Schicht verschwinden kann, ohne dass der oder die Betroffene Schuld daran hat. Schon allein für diese Erkenntnis muss man das Buch lesen aber auch, weil es einen packt und man mit David leidet und ihn versteht. Ein starkes Buch von einer jungen Autorin, wie es nur junge Menschen zustande bringen können.