16.05.2022 14:00

"Ausgeschämt!" von Marco Toccato

Marco Toccato ist seine Freude anzumerken. Er hat sein Tryptichon "Wiener Träume" fertig. 2017 fing es an, als er begann, die Erlebnisse und Träume des Anton Kortner in Wien zu erzählen. Erst ging es ihm im Buch "Nur ein Traum im Traum?" (Nura Draam in am Draam?) um eine moderne Form von "Die Traumnovelle" von Arthur Schnitzer und des Films "Eyes Wide Shut" von Stanley Kubrick zu machen, wie er schrieb. In dem Buch opferte sich eine Frau für den Protagonisten Anton, die Prostituierte Sissi. Er hatte sich in sie verliebt. Später meinte er, bei ihrem Begräbnis auf dem "Friedhof der Namenlosen" dabeigewesen zu sein.

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Für Anton selbst ging der Jux, den er sich machen wollte (frei nach Nestroy) vermeintlich glimpflich aus, wenn man von der bohrenden Scham und der Schuld in ihm absieht.

Aber Toccato konnte sich dann später nicht mehr vorstellen, dass nach einer Last, wie sie sein Held hatte, alles plötzlich wieder eitel Sonnenschein sein könnte. Er veröffentlichte ein Jahr später "Ausgeträumt?" (Aasdraamt?) Anton Kortner ist nach einem Jahr zurück in Wien und forscht nach Sissi. Er findet sie nicht, aber er trifft Anna, die Sissi auf's Haar gleicht. Wieder verliebt er sich, doch auch das geht schief. Anna wird entführt. Eine ukrainische Bande mit einer rätselhaften Person an der Spitze steckt dahinter. Anna wird zwar durch Antons Einsatz und die Wiener Mordkommission befreit, aber sie hat die psychische Belastung nicht ausgehalten. Sie spricht nicht, kein Mensch kann sie erreichen. Die Bande wird gesprengt. Ein Mord und die Entführungen sind aufgeklärt. Anton und seine Mitarbeiterin Grit Perlgruber sind guten Mutes "Aasdraamt ham's, Herr Inscheniör!", sagt sie optimistisch zu ihm. Doch das Buch endet mit einem bösen Omen: Auf dem Hof von Antons und Grits Arbeitsstätte sehen sie einen SUV mit ukrainischem Kennzeichen. Er hat also nicht ausgeträumt!

Das Cover finde ich sehr gelungen. Es zeigt die vier Engel, die Otto Wagner vor seine Kirche Am Steinhof platzieren lassen hat. Nach den düsteren Umschlägen der ersten zwei Bücher, vermittelt dieses Hoffnung.

Mit diesem Cliffhanger spannte Toccato seine Leserschaft zwei Jahre lang auf die Folter. Nun ist das dritte - nach Toccatos Ansage - letzte Buch der Serie kurz vor der Veröffentlichung. Der Titel liegt in der Kontinuität der Serie und ist "Ausgeschämt!" (G'nu g'schaamt!). Der Autor hat das Phänomen "Scham" entdeckt und wenn man nachdenkt, kann man seinem Gedanken folgen: Scham und Schuld sind Affekte die einem Menschen zu schaffen machen können, bis hin zu psychischen Störungen. Sie wirken dauernd - im Wachen, wie im Schlaf - auf die Psyche ein. Toccato behauptet, dass nicht nur er, sondern auch die Fachwelt sich wundert, warum sich Sigmund Freud um diesen Aspekt herumgedrückt hat, wie er meint. Man schämt sich, wenn man seinen eigenen Anforderungen nicht gerecht werden kann. Das gilt in dem neuen Werk sowohl für Anna, als auch für Anton.

Ich habe nun alle drei Bücher gelesen und bin erstaunt, wie Toccato den Dreh gefunden hat, auf seinen zwei Büchern eines aufzusetzen, das endlich alles aufklärt, was in denen eigentlich zu fantastisch angemutet hat. Sogar für die Postkarte vom Hotel Panhans mit der Hitlerbriefmarke (rückwärtiges Cover von "Ausgeträumt?"), hat er eine logische Erklärung gefunden. Sie leitet diesmal einen zweiten Erzählstrang vom Jahr 1942 in Berlin an bis zur heutigen Zeit ein. Wenn man Toccato glaubt, dass er mit "Nur ein Traum ..." eigentlich nur ein einzelnes Buch vorgehabt hat und erst Monate nach dessen Veröffentlichung unzufrieden geworden ist und begonnen hat, eine Fortsetzung zu schreiben, dann staunt man, wie gut sich alles über die gesamten drei Bücher und fast 1.100 Seiten zusammenfügt.

Und noch was ist verblüffend: Anton Kortner und seine Situation ist total verfahren. Man meint, Toccato hat sich quasi vor die Wand geschrieben, in eine Sackgasse navigiert, aus der er nicht mehr herauskommt. Nur soviel, das Ende ist sehr überraschend und schlüssig und ... (Das behalte ich für mich).

Kurz zum Inhalt:

Anton Kortner ist kommissarischer Vorstand der Pohrer AG, Dr. Pohrer, der Besitzer und eigentliche Vorstand ist im Krankenhaus. Doch der hatte, aus der Not geboren, Kontakt mit einer ukrainischen Bande aufgenommen, was ihn die Mehrheit des Aktienkapitals und damit seine Einwirkungsrechte kostete.

Anton weiß das nicht und er kommt in die Zwangslage, kriminell zu handeln oder auszusteigen.

Anna, die junge Frau Anna, in die er genau so verliebt ist, wie er es in Sissi war, vegetiert in der Psychiatrischen Klinik auf der Baumgartner Höhe stumm und teilnahmslos dahin. Anton will Anna in seine Welt zurückholen.

  • Im Jahre 1942 ging dem eine Geschichte voraus, die in Berlin spielte. Das, was da passiert ist, hat Einfluss bis heute und Anton ist davon betroffen.
  • Er steigt auf die Forderungen der Ukrainer ein,
  • findet eine neue Liebe,
  • geht wieder auf eine der Adamisten-Orgien, die eskaliert und mit dem Tod an Antons neuer Liebe von seiner Hand endet.
  • Bei Pohrer brennt es.
  • Viel Geld ist im Spiel
  • und Anton bricht nachts in ...

Aber das ist jetzt genug gespoilert. Wer davon nicht angefixt ist, soll es lassen.